Kurz vor Aussteuerung gesund schreiben lassen: Geht das?
Eine längerfristige Erkrankung stellt nicht allein eine Herausforderung für Körper und Seele dar – sie hat häufig auch gravierende Folgen für die eigene berufliche Laufbahn. Nach dem Ende der gesetzlichen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – also nach höchstens 42 Kalendertagen – springt Ihre gesetzliche Krankenkasse mit der Zahlung des Krankengeldes ein. Doch wie geht es dann weiter?
Aussteuerung: Eine kurze Begriffserklärung
Der Begriff kennzeichnet den Moment, wenn Ihr Anspruch auf Krankengeld von Seiten Ihrer gesetzlichen Krankenkasse nach den gesetzlich vorgeschriebenen 78 Wochen endet. Dies bezieht sich auf einen Zeitrahmen von drei Jahren sowie ein und dieselbe Erkrankung. Die für Sie zuständige Krankenkasse verweist Sie daraufhin an die Agentur für Arbeit. Auch wenn Sie weiterhin erkrankt sind, müssen Sie sich also arbeitslos melden.
Die Nahtlosigkeitsregelung
Hierbei handelt es sich um eine Schutzvorschrift, welche das deutsche Sozialrecht entsprechend § 145 SGB III vorsieht. Im Wesentlichen verhindert sie eine finanzielle Lücke beim Auslaufen Ihres Krankengeldes. Sie erhalten dann das Arbeitslosengeld I, obwohl Sie aufgrund Ihrer Erkrankung dem Arbeitsmarkt nicht mehr in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Zu den Voraussetzungen zählt zum Beispiel, dass Sie noch keine Erwerbsminderungsrente bewilligt bekommen haben und dass Sie die Anwartschaftszeit erfüllt haben, also in den letzten 30 Monaten mindestens zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sind.

In jedem Fall bleiben Sie aber krankenversichert, denn die Agentur für Arbeit übernimmt ab diesem Moment Ihre Beiträge. Wichtig ist, dass Sie rechtzeitig eine Beratung – etwa durch die Sozialverbände – in Anspruch nehmen, wenn es etwa um die Beantragung einer Erwerbsminderungsrente geht. Die Aussteuerung ist also nicht gleichzusetzen damit, dass Sie gesund sind. Sie bedeutet, dass Ihre Krankenkasse nunmehr – entsprechend dem Gesetz – nicht mehr zahlen darf.
Gesund schreiben lassen als Ausweg?
Manche Menschen, welche sich kurz vor der Aussteuerung befinden, überlegen sich daher Folgendes: Sie holen sich bei ihrem behandelnden Arzt die Bescheinigung, dass sie wieder arbeitsfähig sind – auch wenn dies nicht der Wirklichkeit entspricht. Damit möchten sie verhindern, fortan auf Arbeitslosengeld angewiesen zu sein. Oder sie wollen eine neue Blockfrist für das Krankengeld starten.
Zunächst muss dazu gesagt werden, dass eine explizite Gesundschreibung entsprechend dem deutschen Gesetz gar nicht im arbeits- oder sozialrechtlichen Sinne existiert. Das bedeutet auch, dass es keine Vorschrift gibt, die eine solche Gesundschreibung ausdrücklich vorschreibt. In der Regel läuft die Krankschreibung aus und das führt dann automatisch zur Arbeitsfähigkeit. Allerdings können Ärztinnen und Ärzte auf Wunsch die eigene Arbeitsfähigkeit bescheinigen. Dies erfolgt allerdings ausschließlich freiwillig und ist auch häufig mit Kosten verknüpft (fünf bis zehn Euro je nach Gebührenordnung). Es gibt auch die Ausnahme, dass der Arbeitgeber fundierte Zweifel an Ihrer Arbeitsfähigkeit hegt.

In diesem Fall darf er den Betriebsarzt mit einer ärztlichen Bestätigung beauftragen. Ferner können bestimmte Einrichtungen – wie etwa Kitas – eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung verlangen, wenn es zum Beispiel um meldepflichtige Erkrankungen geht. Aber auch dies erfolgt dann im Rahmen einer internen Regelung und nicht etwa infolge einer gesetzlichen Vorschrift.
In jedem Fall sollten Sie sich im Vorhinein sehr genau überlegen, ob Sie „gesundet“ die Arbeit antreten, nur um der Aussteuerung zu entgehen. Eine eingehende ärztliche Fachberatung ist hier angebracht. Diese kann Klarheit darüber bringen, ob Sie de facto wirklich vollständig genesen sind. Es gibt nämlich vor Eintreten der Aussteuerung auch die Option einer Wiedereingliederung über mehrere Stufen. So können Sie sich langsam wieder eingewöhnen. Hierfür gibt es in Deutschland im Wesentlichen zwei Modelle, die unter verschiedenen Voraussetzungen wirksam werden:
- Hamburger Modell: Das ist die klassische Form. Die Ärztin oder der Arzt erstellt gemeinsam mit Ihnen sowie Ihrem Arbeitgeber einen Wiedereingliederungsplan. Dieser beinhaltet Anfang und Ende der Maßnahme; Dauer und Umfang der jeweiligen Stufen; den voraussichtlichen Zeitpunkt der vollen Arbeitsfähigkeit, Tätigkeiten sowie Belastungen, welche zu vermeiden sind sowie Rücktrittsrechte und -gründe für beide Seiten. Ferner kann das Hamburger Modell auch zusätzliche Maßnahmen einschließen, welche Ihre Rückkehr erleichtern, etwa eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung oder auch eine flexiblere Pausenregelung.
- Betriebliche Wiedereingliederung: Hierbei handelt es sich um eine Pflicht Ihres Arbeitgebers, sollten Sie im Zeitraum von zwölf Monaten länger als sechs Wochen – wiederholt oder am Stück – arbeitsunfähig gewesen sein. Der Ablauf besteht hierbei aus folgenden Schritten: Einladung zum BEM-Gespräch (Betriebliches Eingliederungsmanagement); Beteiligung von Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung oder Integrationsamt; Maßnahmen in Gestalt von Arbeitsplatzumbau, Arbeitszeitänderung, Qualifizierung oder eine Versetzung in ein anderes Aufgabengebiet.
Fazit
Die Aussteuerung kann für Sie eine Zäsur darstellen. Der Übergang vom Krankengeld Ihrer Kasse zu den Leistungen der Agentur für Arbeit stellt die Weiche in einen neuen Abschnitt Ihres Berufslebens. Diese ist vielleicht ungewohnt und eventuell auch mit gesellschaftlich bedingten Vorurteilen behaftet.
Gleichwohl sollten Sie sich sehr genau überlegen, voreilig und ohne Vorbereitung wieder voll in Ihren Job einzusteigen. In vielen Fällen ist es besser, vor der Aussteuerung einen Umweg – etwa über das Hamburger Modell – zu nehmen. Auf diese Weise können Sie sich langsam eingewöhnen und allmählich die Arbeitsbelastung erhöhen. So können Sie unter Umständen eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit vermeiden und durch die Wiederaufnahme Ihrer alten Tätigkeit Selbstbewusstsein tanken.